Traumapädagogin Samira Langer-Lorenzani: Auswirkungen von Traumata bei Kindern und Jugendlichen auf Familienstrukturen

Samira Langer-Lorenzani
4 min readAug 5, 2024

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Samira Langer-Lorenzani ist eine auf Traumapädagogik spezialisierte Expertin, die sich auf die Betreuung von Kindern und Jugendlichen nach belastenden Erfahrungen konzentriert. Ihre Arbeit umfasst nicht nur die Unterstützung der betroffenen jungen Menschen, sondern auch die enge Zusammenarbeit mit deren Familien.

Traumata können schon in jungen Jahren eintreten und sind oft unterschätzt in ihren Auswirkungen auf das menschliche Leben und besonders auf familiäre Beziehungen. In Familien können Traumata tiefgreifende Veränderungen bewirken, die Generationen überdauern.

Traumata können aus scheinbar geringfügigen Anlässen Wut und Scham hervorrufen, Überempfindlichkeit gegenüber Kritik und ein tiefes Gefühl der Einsamkeit inmitten von Menschen. Misstrauen gegenüber Anerkennung und Eskalation von Unruhe in ruhigen Momenten sind ebenfalls häufige Symptome. Diese Reaktionen treten oft im Kontakt mit nahestehenden Personen auf, was die Beziehungen zu Partnern, Kindern und Freunden erheblich belastet.

Traumata hinterlassen tiefe Spuren in unserer Seele und unserem Körper. Es gibt Phasen, in denen die Vergangenheit ständig in die Gegenwart projiziert wird. Traumata sind nämlich nicht nur vergangene Ereignisse, sondern können oft auch bleibende Prägungen auf Geist, Gehirn und Körper hinterlassen, die die aktuelle Fähigkeit zur Selbstregulation und Beziehungsfähigkeit beeinträchtigen.

Die drei Arten von Traumata

Wir unterscheiden drei Arten von Traumata: das Schock-, Entwicklungs- und Transgenerationale Trauma. Schocktraume entstehen — wie der Name es schon vermuten lässt — durch plötzlich eintretende und meist überwältigende Ereignisse wie Unfälle, Gewalttaten oder auch Naturkatastrophen. Psychische und physische Probleme, die auf Traumata in der Kindheit zurückzuführen sind, bezeichnet man allgemein hin auch als Entwicklungstrauma. Diese treten ein durch beispielsweise Vernachlässigung. Bei dem Transgenerationalen Trauma handelt es sich um Traumata, die von vorherigen Generationen erlitten und durch epigenetische oder psychologische Mechanismen weitergegeben werden.

Die Traumata der Generationen

Ein oft genutztes, da sehr treffendes Beispiel für transgenerationale Traumata ist die Erziehung während des Nationalsozialismus, die oft zur Traumatisierung und Misshandlung von Kindern führte. Die Spuren solcher Erziehungsstile sind bis heute in vielen Familien zu finden. Menschen, die traumatisiert sind, suchen oft unbewusst ähnliche traumatische Situationen, ohne den Zusammenhang zu früheren Erlebnissen zu erkennen.

Destruktive Muster im Familiensystem

Traumata können sogenannte destruktive Muster in Familiensystemen etablieren, die Generationen überdauern. Es handelt sich dabei um wiederkehrende Verhaltensweisen und Interaktionen, die das Wohlbefinden und die gesunde Entwicklung der Familienmitglieder beeinträchtigen. Destruktive Muster können sein: Dysfunktionale Kommunikation, emotionale Vernachlässigung oder auch Ko-Abhängigkeit. Bei Letzterem kommt es zu einer übermäßigen Kontrolle der Eltern und dadurch fehlendem Raum zur eigenen Entwicklung für Kinder. Emotionale Verstrickung und fehlende Grenzen innerhalb der Familie hemmen die individuelle Autonomie und Entwicklung. Vermeidung und Leugnung des Traumas verstärken die Probleme weiter. Das Trauma wird oft geleugnet oder als unwichtig abgetan, wodurch das Kind oder der Jugendliche das Gefühl bekommt, dass seine Erfahrungen und Gefühle nicht legitim sind. Emotionen werden als übertrieben oder unberechtigt dargestellt, was zu Selbstzweifeln und weiteren emotionalen Belastungen führt.

Verschiedene Wege zur Heilung

Die Heilung von Traumata aus der Kindheit und Jugend erfordert einen umfassenden Ansatz, der therapeutische Unterstützung, sichere und Halt gegebene Beziehungen sowie die Förderung von Resilienz und Selbstfürsorge umfasst. Therapeutische Maßnahmen können helfen, ein stabiles Umfeld kann helfen und auch Selbsthilfegruppen können helfen. Resilienz wird durch Bewältigungsstrategien, körperliche Aktivitäten und kreative Ausdrucksformen gestärkt. Selbstfürsorge, wie das Erkennen und Respektieren eigener Bedürfnisse und das Praktizieren von Selbstmitgefühl, ist ebenfalls entscheidend.

Bindung und Beziehung

Auch die Wiederherstellung von Bindung und Beziehung ist zentral für die Heilung. Gesunde Beziehungen bieten emotionale Sicherheit und Unterstützung, die für die Verarbeitung von Traumata notwendig sind. Der Aufbau stabiler Bindungen kann auf mehreren Wegen erfolgen, beginnt aber tatsächlich schon bei der Beziehung zwischen Patient und Therapeut. Ein Therapeut bietet Unterstützung, Verständnis und eine verlässliche Präsenz, die es dem Patienten ermöglicht, Vertrauen wieder aufzubauen und an Problemen zu arbeiten. Die Therapie stellt einen Raum für gesunde Interaktionen dar und kann Patienten dabei helfen, neue Beziehungsmuster zu entwickeln. Dies bezeichnet man auch als posttraumatisches Wachstum. Es ist der Moment im Heilungsprozess, in dem die Betroffenen neues Vertrauen, Zuversicht und ein Gefühl für ihre eigenen Fähigkeiten entwickeln. Freude und Neugier kehren zurück, und die Handlungsspielräume erweitern sich.

Auch die Familientherapie ist ein wichtiger Schritt des Heilungsprozesses und besonders dann sinnvoll, wenn die Kommunikation und Dynamik innerhalb einer Familie durch das Trauma beeinträchtigt wurden. Traumatische Erfahrungen in der Kindheit und Jugend sind häufig eng mit familiären Beziehungen und Kommunikationsmustern verknüpft. Das Ziel der Familientherapie ist es, die familiären Beziehungen zu stärken, Konflikte zu lösen und ein unterstützendes, harmonisches Umfeld zu schaffen. Während der Therapie lernen die Familienmitglieder, offen und respektvoll miteinander zu kommunizieren — worunter auch das Ausdrücken emotionaler Bedürfnisse fällt. Es geht darum, ein sicheres und stabiles Umfeld zu schaffen, das für die Heilung der betroffenen Person von zentraler Bedeutung ist.

Nachhaltige Heilung für Familienstrukturen

Traumata aus der Kindheit und Jugend können tiefgreifende und langfristige Auswirkungen auf das Leben und die familiären Beziehungen haben. Sie führen zu destruktiven Mustern, die auch Generationen überdauern können. Der Heilungsprozess umfasst diverse Ansätze, bei denen auch die Familie mit einbezogen werden kann, um die familiären Beziehungen nach einem Trauma zu stärken. Diese integrativen Ansätze ermöglichen es den Betroffenen, Vertrauen wieder aufzubauen, neue Beziehungsmuster zu entwickeln und letztlich posttraumatisches Wachstum zu erleben.

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Samira Langer-Lorenzani ist Kinder- und Jugend-Sozialarbeiterin mit traumapädagogischer Fachausbildung.