Trauma im Kopf — Wie traumatische Erlebnisse auf das Gehirn wirken
Das menschliche Gehirn teilt sich nach anerkannter Auffassung grob — sehr grob — in drei Teile. Der stammesgeschichtlich älteste Teil ist das sogenannte Stammhirn, auf dessen Ebene die grundlegendsten Empfindungen und Instinkte reguliert werden. Wir haben es dort mit einem homöostatischen Basis-System zu tun, das grundsätzliche (Über-)Lebensfunktionen des Körpers gewährleistet. Diesem System folgt räumlich und organisatorisch das limbische System, eine Hirnschicht, die vor allem für „höhere“ Gefühlsebenen, Beziehungen, soziale Interaktion und unsere Motivationen zuständig ist. Sie ist der Welt der Säugetiere zugeordnet und damit schon wesentlich näher an unserem hochkomplexen Menschsein verortet. Für letzteres ist aber in letzter Instanz erst unser Neokortex verantwortlich, jene äußerste Hirn-Struktur, die unsere wirklich komplexen, zielgerichteten, bewussten Handlungen ermöglicht und uns sogar erlaubt, die ursprünglicheren Impulse zu kontrollieren. Selbstverständlich interagieren diese Bereiche ständig und sind lediglich in der neurologischen Theorie in der Form getrennt, wie es die wissenschaftlichen Begriffe suggerieren.
Ein sensibles Gefüge
Das Zwischenspiel dieser so unterschiedlichen Regionen ist von enormer Bedeutung für die intellektuelle, charakterliche und moralische Konstitution eines Menschen, denn hier treffen evolutionsgeschichtliche Uralt-Strukturen auf die feinsinnigsten Sphären des modernen Menschseins. In den Worten Peter Levines, eines der renommiertesten Trauma-Forschers der Welt: „Die Aufgabe, eine solch enge Beziehung am Laufen zu halten, ist vergleichbar mit der, einen IBM-Hochleistungscomputer am Massachusetts Institute of Technology mit einem uralten Rechenbrett in einem chinesischen Lebensmittelladen zu verbinden, damit sie als eine Einheit zusammenarbeiten.“ (Aus: P. A. Levine: Sprache ohne Worte — Wie unser Körper Trauma verarbeitet und uns in die innere Balance zurückführt) Eine Deregulation dieses Zusammenspiels kann fatale Folgen haben — und steht in engem Zusammenhang mit dem, was wir gemeinhin als Folgen traumatischer Belastungen begreifen.
Überforderung im Gehirn
Wenn das Gehirn einer extraordinären Belastung ausgesetzt ist — so bei einer traumatisierenden Situation –, wird die Kommunikation zwischen den Arealen empfindlich gestört. Die Amygdala, Teil des limbischen Systems, ist eine Art Rauchmelder des Gehirns. Hier werden Gefahren erkannt. Deren Verarbeitung findet im Hippocampus statt. Bei einer traumatischen Be- beziehungsweise Überlastung wird die Gefahr erkannt und gespeichert, aber nicht mehr kontextualisiert: Die Kommunikation zwischen den Bereichen im limbischen System ist gestört, weil Stresshormone die reguläre Funktion überlasten. Der präfrontale Cortex, der, wie eingangs beschrieben, für komplexere, langsamere Verarbeitung zuständig ist, wird dann nahezu vollständig übergangen. Ein normales, regulatives Zusammenspiel zwischen den Bereichen ist dann unter Umständen nicht mehr möglich: Betroffene leiden unter chronischen Angstzuständen, wiederkehrenden Erinnerungsfetzen, Selbstregulationsverlust und emotionalen Störungen.
Hilfe ist möglich
Traumatherapie hat die Möglichkeit, diese aus dem Gleichgewicht geratene Kommunikation zu rehabilitieren. Durch Zuwendung, teilweise verhaltens-, teilweise tiefentherapeutische Verfahren, durch entsprechend spezialisierte traumapädagogische Interventionen kann das überlastete Gehirn wieder reguliert werden. Die professionelle und gleichzeitig menschliche Zuwendung eines Therapeuten oder Pädagogen kann selbst die Reptiliensphären von Betroffenen erreichen.